Weitreichende Folgen könnte das BGH-Urteil vom heutigen Freitag (18.9.) für Autohäuser haben. Unbegleitete Probefahrten dürften danach der Vergangenheit angehören und Ortungssystemen zur Diebstahlsicherung die Zukunft gehören.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) hat entschieden, dass ein Fahrzeug, das einem möglichen Käufer für eine unbegleitete Probefahrt überlassen wurde und von diesem nicht zurückgegeben wird, dem bisherigen Eigentümer nicht im Sinne von § 935 BGB abhandengekommen ist. Das hat für das betroffene Autohaus die unangenehme Folge, dass es sein Eigentum an dem Fahrzeug verliert, wenn die Diebe das Auto einfach behalten und an einen gutgläubigen Dritten verkaufen.
Was war passiert ?
In einem Autohaus interessierte sich ein Kunde für einen als Vorführwagen genutzten Camping-Van der Marke Mercedes-Benz. Das Fahrzeug sollte 52.900 Euro kosten. Der vertrauenserweckend auftretende Kunde legte dem Verkäufer einen italienischen Personalausweis und Führerschein, sowie die Meldebestätigung einer deutschen Stadt vor. Daraufhin übergab der Verkäufer des Autohauses dem potentiellen Käufer das Fahrzeug für eine einstündige, unbegleitete Probefahrt.
Perfekt gefälschte Papiere
Was der Verkäufer des Autohauses nicht wissen konnte, bei den vorgelegten Dokumenten handelte es sich um hochprofessionelle Fälschungen. Echt waren dagegen die Papiere, die der italienische „Kaufinteressent“ erhielt. Nach seiner Unterschrift auf dem „Fahrzeug-Benutzungsvertrag“ erhielt er den Fahrzeugschlüssel des mit rotem Kennzeichen versehenen Fahrzeugs, ein Fahrtenbuch, ein Fahrzeugscheinheft und die Kopie des ersten Teils der Zulassungsbescheinigung.
Arglose Käufer im Internet
Als der vermeintliche Kaufinteressent nach der vereinbarten Stunde mit dem Fahrzeug nicht zum Autohaus zurückkehrte, verständigte dieses die Polizei. Der Van war spurlos verschwunden. Die Täter verkauften den Mercedes-Camper als Privatverkäufer über ein Internetportal an eine Familie für 46.500 Euro. Bei der Unterzeichnung des Kaufvertrages übergaben die Kriminellen den gutgläubigen Käufern Zulassungspapiere und Fahrzeugschlüssel.
Als die Familie den Van bei der Zulassungsstelle anmelden wollte, fielen sie aus allen Wolken. Das Fahrzeug war als gestohlen gemeldet und auch die von den Verkäufern übergebenen Papiere waren gefälscht. Das Autohaus klagte in der Folge auf die Herausgabe des Fahrzeugs. Dagegen setzte sich die Familie zur Wehr. Jetzt mußte das höchste deutsche Zivilgericht abschließend entscheiden, nachdem die beiden Vorinstanzen sich nicht einig waren.
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Aus der Entscheidung des Gerichts
Die Klägerin hat das Eigentum an dem Fahrzeug verloren. Ein gutgläubiger Eigentumserwerb der Beklagten scheitert nicht an § 935 BGB, da das Fahrzeug der Klägerin nicht abhandengekommen war. Ein Abhandenkommen im Sinne dieser Vorschrift setzt einen unfreiwilligen Besitzverlust voraus. Daran fehlt es. Eine Besitzübertragung ist nicht schon deshalb unfreiwillig, weil sie auf einer Täuschung beruht. Die Überlassung eines Kraftfahrzeuges durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten für eine gewisse Dauer – hier eine Stunde – führt auch nicht zu einer bloßen Besitzlockerung, sondern zu einem Besitzübergang auf den Kaufinteressenten.
Dieser ist während der Probefahrt nicht lediglich Besitzdiener des Verkäufers, was nach § 855 BGB zur Folge hätte, dass nach wie vor der Verkäufer als Besitzer anzusehen wäre. Es fehlt an dem dafür erforderlichen sozialen oder vergleichbaren Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Kaufinteressenten. Dass Letzterer in Bezug auf das Fahrzeug Weisungen bzw. Vorgaben des Verkäufers unterworfen ist, ändert hieran nichts. Denn sie entspringen dem Vertragsanbahnungsverhältnis und damit einem auf die Sache bezogenen Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 BGB. Demgegenüber folgt die Weisungsunterworfenheit eines Besitzdieners aus einem über den rechtlichen Bezug zur Sache hinausgehenden Verhältnis zum Besitzherrn. Ein solches Verhältnis besteht zwischen dem Verkäufer eines Fahrzeugs und einem Kaufinteressenten nicht. Daher geht mit der (freiwilligen) Überlassung des Fahrzeugs zur Probefahrt der Besitz auf den vermeintlichen Kaufinteressenten über.
Die nicht erfolgte Rückgabe des Fahrzeugs an die Klägerin stellt somit kein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB dar, so dass es von einem späteren Käufer gutgläubig erworben werden konnte. Folglich ist die Beklagte, da sie nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts bei dem Erwerb des Kraftfahrzeuges in gutem Glauben war, dessen Eigentümerin geworden und kann von der Klägerin die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere verlangen.
Urteil vom 18.9.2020 Az.: V ZR 8/19
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Quelle: PM BGH vom 18.9.2020
1 Kommentare
Hallo zusammen,
Was ist das denn? Grundsätzlich kann ich die Argumentation des Gerichts für die Seite der Familie sehr wohl verstehen, was die „Gutgläubigkeit“ angeht und das der Eigentumsübergang am Fahrzeug somit tatsächlich an die Familie stattfand – Haken dran.
In der ganzen Berichterstattung fehlt mir jedoch die Betrachtung der Seite der „Fälscher“. Es klingt in fast jedem Artikel den ich dazu lese so, als ob der „Fälscher“ irgendwie legal gehandelt hätte und er durch den Besitzübergang das Fahrzeug einfach verkaufen kann ohne das dies Folgen für ihn hätte. Denn nach wie vor hat er nicht das Eigentum am Fahrzeug und hätte es somit rein rechtlich gar nicht verkaufen dürfen und sich die Gutgläubigkeit der Familie eben nur durch die Fälschung von Dokumenten erschlichen.
Somit sollte der Händler einen Schadensersatz mindestens in Höhe des ursprünglichen Fahrzeugwertes vom Fälscher fordern können. Weiterhin müsste sich der Fälscher auch wegen Urkundenfälschung verantworten.
Viele Grüße
Ben Geiger
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