Ein adoptiertes Kind hat einen Anspruch gegen seine leibliche Mutter auf Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters. Das hat der zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch (19.1.) entschieden.
Im dem strittigen Fall ging es um eine inzwischen 37-jährige Frau, die erfahren wollte, wer ihr leiblicher Vater war. Doch die leibliche Mutter verweigerte die Auskunft. Sie war in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und hatte das Kind schon früh (16 Jahre) bekommen. Nach der Geburt brach die Jugendliche den Besuch der Hauptschule ohne Abschluss ab. Sie lebte danach in einem Mutter-Kind-Heim bis sie in einer Mädchen-Wohngemeinschaft unterkam. Schließlich entschloss sie sich, das Kind zur Adoption freizugeben.
Ein im Jahr 1985 durchgeführtes Vaterschaftsfeststellungsverfahren brachte kein Ergebnis. Auch ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem möglichen Vater verlief erfolglos. Ende 2003 kam es auf Vermittlung des Jugendamtes zu einem Treffen zwischen der adoptierten Frau und ihrer leiblichen Mutter. Doch auch das brachte für das Adoptivkind keine neuen Erkenntnisse. Nach diesen Fehlschlägen forderte die Frau ihre leibliche Mutter im Jahr 2018 auf, Namen und Anschrift ihres leiblichen Vaters zu nennen. Wieder reagierte die Mutter nicht.
Jetzt klagte die Frau auf Auskunftserteilung beim Amtsgericht in Stuttgart. Das Amtsgericht wies ihren Antrag mit der Begründung zurück, der Mutter sei die geforderte Auskunft nicht möglich. Daraufhin beschwerte sich die adoptierte Tochter beim zuständigen Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart und das mit Erfolg. Das OLG verpflichtete die Mutter, alle möglichen Väter mit vollständigem Namen und Adresse anzugeben. Das wollte die Mutter nicht und so landete der Fall, nach einer Rechtsbeschwerde der Mutter, beim BGH in Karlsruhe. Nach eingehender Prüfung wiesen die Karlsruher Richter die Beschwerde zurück.
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Aus der Entscheidung des Gerichts
Anspruchsgrundlage für die begehrte Auskunft ist die Bestimmung des § 1618 a BGB, nach der Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Auch wenn die Vorschrift keine konkreten Sanktionen bei einem Verstoß vorsieht, können Eltern und Kindern aus ihr wechselseitig Rechtsansprüche erwachsen. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung bei der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betroffenen angemessen Rechnung zu tragen. Dies ist bei der Auslegung des § 1618 a BGB* zu berücksichtigen, zumal der Gesetzgeber einen Auskunftsanspruch nicht ausdrücklich normiert hat. Anders als beim Anspruch des sog. Scheinvaters gegen die Kindesmutter auf Auskunft über die Identität des leiblichen Kindesvaters, für den das Bundesverfassungsgericht einer Herleitung aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB**) eine Absage erteilt und eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gefordert hat, geht es hier nicht allein um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Vielmehr wird mit dem Auskunftsanspruch eine Rechtsposition von ganz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, gestärkt.
Dass die Antragsgegnerin wegen der Adoption der Antragstellerin und dem aus § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB folgenden Erlöschen des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses aufgrund Adoption nicht mehr die rechtliche Mutter der Antragstellerin ist, steht dem Anspruch nicht entgegen. Denn das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Kind und Mutter ist vor der Adoption entstanden. Würde man dies anders sehen, würde die Adoption hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung gegenüber Kindern führen, deren rechtliche Eltern-Kind-Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter fortbesteht. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin auch keine erheblichen, gegen ihre Auskunftsverpflichtung sprechenden Abwägungsgesichtspunkte vorgetragen, sondern im Gegenteil zu keinem Zeitpunkt bestritten, dass der Auskunftsanspruch der Antragstellerin grundsätzlich besteht. Somit hat sie sich nicht auf konkrete Belange berufen, die mit Blick auf ihr ebenfalls verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf Achtung ihrer Privat- und Intimsphäre dazu führen könnten, das Bestehen des Auskunftsanspruchs zu verneinen.
Mit der bloßen Mitteilung, sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern, hat die Antragsgegnerin den Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass ihr eine Erfüllung auch nach Einholung der ihr zumutbaren Erkundigungen unmöglich ist. Das Oberlandesgericht hat eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen aufgelistet, an die sich die Antragsgegnerin wenden kann, um Hinweise zu potenziellen leiblichen Vätern der Antragstellerin zu erhalten. Diesen Nachfragemöglichkeiten fehlt es weder an der Erfolgsaussicht noch sind sie der Antragsgegnerin unzumutbar.
Beschluss vom 19. 01.2022 – XII ZB 183/21
Vorinstanzen:
AG Stuttgart – Beschluss vom 30. 10. 2019 – 23 F 642/18
OLG Stuttgart – Beschluss v. 30. 03.2021 – 17 UF 52/20
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Quelle: PM BGH v. 19.1.2022