Der Deutsche Richterbund möchte Schwarzfahren als Tatbestand aus dem Strafgesetzbuch streichen, um die Gerichte zu entlasten. Das sagte der Vorsitzende des Richterbundes, Jens Gnisa, letzte Woche dem „Inforadio“ des RBB.
Der Deutsche Richterbund schiebt den schwarzen Peter den Verkehrsbetrieben zu, indem er sagt: „Natürlich können sich die Verkehrsbetriebe besser gegen Schwarzfahren schützen. Sie tun es nicht, sparen Geld; dann soll es letztendlich der Staat mit seiner Strafjustiz richten.“ Er halte das nicht für richtig, sagte Gnisa. „Die Berliner Justiz wird jährlich mit 40.000 Schwarzfahrten befasst, und gleichzeitig gibt es Personalknappheit. Die Dinge passen da nicht zusammen.“
Verkehrsbetriebe setzen sich zur Wehr
Vor der Bundestagswahl hatte NRW-Justizministers Peter Biesenbach (CDU) gegenüber der Rheinischen Post ins gleiche Horn gestoßen. Dort bezeichnete er es als „Fehlentwicklung“, dass schon demjenigen eine Gefängnisstrafe droht, der keine Kurzstreckenfahrkarte für 1,50 Euro kauft. Seiner Meinung nach würde es reichen, wenn Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldstrafe geahndet würde und erst bei hartnäckigen Wiederholungstätern das Strafrecht greifen würde.
Darauf reagierte der Verband der Verkehrsbetriebe, der 600 Mitgliedsbetriebe vertritt umgehend mit einer Pressemitteilung, in der VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff sagte: „Solche rein politischen Aussagen, die scheinbar ohne genaue Kenntnis der Rechtslage getroffen werden, sind absolut kontraproduktiv. Damit schadet man den 95 % ehrlichen Fahrgästen, den Verkehrsunternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Denn die bezahlen am Ende gemeinsam die Zeche, wenn Schwarzfahrer zu glimpflich davonkommen. Außerdem gibt es gute juristische Gründe, warum Schwarzfahren eine Straftat ist und auch bleiben muss“. Für ihn ist klar, dass die Herabstufung des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit bedeuten würde, dass die Kontrolleure nicht mehr die Möglichkeit zur vorläufigen Festnahme eines Schwarzfahrers im Sinne des Jedermanns-Recht hätten. „Eine Feststellung der Personalien vor Ort wäre damit so gut wie nicht mehr möglich. Das käme einem Freifahrtschein fürs Schwarzfahren gleich“, so Wolff weiter.
Schwarzfahrer kostet dem Steuerzahler viel Geld
In Nordrhein-Westfalen sitzen nach Angaben des NRW-Justizministeriums etwa 6000 Personen im Gefängnis, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können oder wollen. Sie wurden wegen minderschwerer Delikte wie Ladendiebstahl, kleine Betrügereien oder Schwarzfahren verurteilt. Es sind die Kosten, die dem NRW-Justizminister sauer aufstoßen. Pro Hafttag kosten diese Gefangenen dem Steuerzahler 133 Euro. Der Minister möchte Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte entlasten. Auch die vollen Justizvollzugsanstalten hat er dabei im Blick. Biesenbach plant, bei der nächsten Justizministerkonferenz mit seinen Amtskollegen über das Thema Schwarzfahren zu sprechen. Bei denen könnte er auf offene Ohren stoßen. Schon im Jahr 2014 hatte die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) gleichartige Überlegungen angestellt.
Das Argument der Entlastung bei Behörden und öffentlichen Kassen lässt VDV-Geschäftsführer Oliver Wolff nicht gelten: „Man verschiebt die Belastung damit von der Landesbehörde Staatsanwaltschaft zu den Ordnungsbehörden auf kommunaler Ebene, die sich dann um die Ordnungswidrigkeiten kümmern müssten. “ Von einer Entastung der öffentlichen Hand kann für ihn deshalb keine Rede sein.
Verkehrsunternehmen setzen auf Abschreckung
Der Verband der Verkehrsunternehmen dringt darauf, dass Schwarzfahren eine Straftat im Sinne des Strafgesetzbuches („Erschleichung von Leistung“) bleibt. Denn durch das Begehen einer Straftat drohen dem Schwarzfahrer härtere Konsequenzen, bis hin zur Freiheitsstrafe. VDV-Geschäftsführer Oliver Wolff dazu: „Die abschreckende Wirkung einer drohenden Freiheitsstrafe als letzte Konsequenz ist absolut notwendig. Denn das auf zivilrechtlicher Basis erhobene Erhöhte Beförderungsentgelt wird heute schon häufig nicht bezahlt. So gehen den Verkehrsunternehmen jährlich 250 bis 300 Millionen Euro an Ticketeinnahmen durch Schwarzfahren verloren. Und alle ehrlichen Kunden müssen das über ihre Ticketpreise mitbezahlen“.
Die juristische Form des gordischen Knotens
Wie entlastet man die Justiz, spart dem Steuerzahler Geld, berücksichtigt die Interessen der Verkehrsbetriebe und das alles ohne das Rechtsempfinden der Bürger zu verletzen?
In einem Editorial der Neuen Juristischen Wochenschrift setzte sich der namhafte Tübinger Jurist Professor Dr. Jörg Kinzig schon im Jahr 2014 mit der Problematik Bagatelldelikte, zu denen auch das Schwarzfahren gehört, auseinander. Er schreibt dort: „Dabei muss man nicht erst das fragwürdige Argument der Kostenentlastung der Justiz bemühen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass in den genannten Fällen die Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit denn der einer rationalen Kriminalpolitik zu sein scheint. Dazu tritt eine regional unterschiedliche Rechtsanwendung. Daher verdient es die genannte kriminalpolitische Initiative, sorgfältig geprüft zu werden. Reformvorschläge liegen seit Langem auf dem Tisch. Erneut zu überlegen wäre etwa, Bagatelldelikte, insbesondere Ladendiebstahl (bis zu einem Wert von 50 Euro) und Schwarzfahren, zu Ordnungswidrigkeiten herabzustufen oder dem Verurteilten im Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren zu gestatten, auch eine kurze Freiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit zu verbüßen.“
Die NRW-Landesregierung hat zumindest den letzten Vorschlag Mitte 2017 in die Tat umgesetzt, als der damalige Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) eine Kooperationsvereinbarung mit Erzbistümern und den Caritasverbänden unterzeichnete. Damit können zukünftig in Nordrhein-Westfalen Ersatzfreiheitsstrafen alternativ in Kirchengemeinden und katholischen Sozialeinrichtungen abgeleistet werden.
Lesen Sie hierzu auch unser Interview zu diesen Thema das wir mit Rechtsanwalt Axel Nageler aus Essen geführt haben.
https://www.judid.de/interview-sollte-schwarzfahren-aus-dem-stgb-gestrichen-werden/
Quellen: mit Material der dts-nachrichtenagentur, PM VDV, NJW Heft 30/2014