Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, „unverzüglich“ Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingten Triage zu treffen. „Auf dieses Urteil haben wir 40 Jahre lang gewartet“, kommentiert Patientenschützer Eugen Brysch die Entscheidung.
Der Triage-Beschluss stammt von 16. Dezember und wurde am Dienstag (28.12.) in Karlsruhe veröffentlicht (1 BvR 1541/20). Danach hat der Gesetzgeber die Verfassung verletzt, da er es unterlassen habe, entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Gesetzgeber gefordert
Die Politik müsse dafür Sorge tragen, dass jede Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen hinreichend wirksam verhindert werde, heißt es in dem Beschluss. Außerdem sei der Gesetzgeber gehalten, dieser Handlungspflicht „unverzüglich durch geeignete Vorkehrungen nachzukommen“. Bei der konkreten Ausgestaltung komme ihm ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, so das Verfassungsgericht.
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Hintergrund der Entscheidung ist eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Personen, die schwer und teilweise schwerst behindert und überwiegend auf Assistenz angewiesen sind. Sie verlangten einen wirksamen Schutz vor Benachteiligung von Menschen mit einer Behinderung im Fall einer Triage. Die Beschwerdeführer waren der Auffassung, der Gesetzgeber schütze sie in diesem Fall nicht vor einer Diskriminierung aufgrund ihrer Behinderung.
„Zügiger“ Gesetzentwurf
Nach dem Triage-Urteil des Bundesverfassungsgerichts will die Bundesregierung jetzt „zügig“ einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Das kündigte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) noch am Dienstag (28.12.) über den Kurznachrichtendienst Twitter an. „Das erste Ziel muss sein, dass es erst gar nicht zu einer Triage kommt“, schreibt Buschmann. Wenn aber doch, dann bedürfe es klarer Regeln, die Menschen mit Handicaps Schutz vor Diskriminierung bieten.
Zustimmung von allen Seiten
„Auf dieses Urteil haben wir 40 Jahre lang gewartet“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Rheinischen Post (RP). „Entscheidungen über Leben und Tod in Knappheitssituationen dürfen nicht den Ärzten überlassen werden.“ Der Deutsche Bundestag dürfe sich da nicht weiter wegducken. „Das Verfassungsgericht hat den Bundestag nun mit diesem Urteil gezwungen, im kommenden Jahr ein Gesetz zu beschließen, das Leitplanken für die Behandlung von Patienten in Knappheitssituationen setzt“, so Brysch. Nach Meinung des Patientenschützers war die Entscheidung überfällig, angesichts der begrenzten Kapazitäten der Intensivstationen.
Lauterbach: Triage verhindern
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schreibt auf Twitter, dass er das Urteil ausdrücklich begrüße. „Menschen mit Behinderung bedürfen mehr als alle anderen des Schutzes durch den Staat. Erst Recht im Falle einer Triage.“ Jetzt aber heiße es, Triage durch wirksame Schutzmaßnahmen und Impfungen zu verhindern, so der SPD-Politiker. Auch für den stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki ist das Triage-Urteil „rechtlich nachvollziehbar“. Der RP sagte Kubicki: Nach der Wertentscheidung des Grundgesetzes müssten Fragen von Leben und Tod durch den Gesetzgeber entschieden werden und nicht durch private Übereinkunft.
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Quelle: dts-Material