Einfach, kostengünstig, reproduzierbar. Die Digitalisierung hat den Rechtsberatungsmarkt erreicht. Gehört der Vermarktung juristischer Dienstleistungen über Online-Plattformen die Zukunft?
Über 70 Prozent der Deutschen geben laut einer Forsa-Studie an, vor allem aus Angst vor den Kosten und fehlender Vergleichbarkeit von Anwälten bereits auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichtet zu haben. Jetzt machen Online-Plattformen die gesamte Rechtsberatung angeblich transparenter und billiger.
Recht haben und Recht bekommen, ist zweierlei. Laien können oft kaum beurteilen, ob ihnen Schadenersatz oder ähnliche zivilrechtliche Forderungen zustehen und ob diese Forderungen am Ende mit Aussicht auf Erfolg durchsetzbar sind. Noch komplizierter wird es, wenn es um Arzt- und Familienrecht, Erbrecht oder Steuerrecht geht. Hier wird die Online-Rechtsberatung immer wichtiger, besonders für die erste Einschätzung der Rechtslage. So beginnt für immer mehr Menschen die Suche nach einem Anwalt nicht mehr auf den Gelben Seiten oder in der Nachbarschaft, sondern im Internet.
Die Digitalisierung, oder genauer Plattformisierung, hat mittlerweile den Rechtsberatungs-Markt erreicht: Verbraucherrechtsseiten und Anwaltsportale wie rechtecheck.de, anwalt.de, Juraforum, Deutsche Anwaltshotline oder advocado wachsen wie Pilze im Netz. Sie helfen dem Verbraucher bei der Suche nach juristischem Beistand und dem Anwalt bei der Suche nach Mandanten.
Legal Tech: Rechts-Markt im Umbruch
Legal Technology, kurz „Legal Tech“, ist das Zauberwort für it-gestützte, automatisierte Rechtsdienstleistungen. Der Rechtssuchende schildert sein Problem auf der juristischen Online-Plattform. Diese gibt die Daten an spezialisierte Anwaltskanzleien weiter, die dem potenziellen Mandanten neben einer kostenlosen (!) Einschätzung des Falls ein individuelles Festpreisangebot für die weitere Online-Rechtsberatung machen.
Eine Win-Win-Situation zweifellos, die breiteren Schichten von Verbrauchern, die sonst nicht ohne Weiteres den Weg in die Anwaltskanzlei gefunden hätten, bezahlbaren Rechtsbeistand verschafft, und den Anwälten Aufträge bzw. Klienten.
Vollautomatisch und transparent
„Wir kämpfen für eine Welt, in der jeder Mensch zu seinem Recht kommt“, sagt Maximilian Block, Gründer und CEO des Legal Tech-Unternehmens „advocado“. Ob Nachlass, fristlose Kündigung oder die Finanzierung einer Immobilie – seine Online-Plattform bieten durch die kostenfreie Einschätzung eine erste Orientierungshilfe für den Rechtssuchenden. Dabei erläutert in einem persönlichen Gespräch ein erfahrener Jurist die Gesetzeslage, die juristischen Möglichkeiten sowie die damit verbundene Chancen und Risiken. Wenn im Anschluß eine weitergehende juristische Betreuung gewünscht wird, wird vom Anwalt ein detailliertes Beratungsangebot zu einem garantierten Preis erstellt. Bei den folgenden Schritten werden die Mandanten dann von den virtuellen Legal Tech-Kanzleien betreut. Das reicht von der Vertretung im Streitfall über die Zahlungsabwicklung bis hin zum Dokumentenmanagement, das den Zugriff auf alle für den Rechtsfall wichtigen Unterlagen zu jeder Zeit und von jedem Ort gewährleistet.
Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Datensicherheit. So läuft die von „advocado“ entwickelte Technologie ausschließlich auf deutschen Servern, wobei nach Aussage von Block „größter Wert auf die Erfüllung datenschutzrechtlicher Bestimmungen“ gelegt wird.
Was ist mit dem Datenschutz?
Datenschutz und Datenaufbereitung setzen den Legal Tech-Unternehmen enge Grenzen und die Versuchung für die auf den expandierenden digitalen Rechts-Markt drängenden Startups ist groß, dennoch Tracking-Dienste wie z. B. Google Analytics zu nutzen. Auch wenn die Nutzerdaten vor Hackern weitgehend sicher scheinen, könnten sie schnell bei Google, Facebook & Co landen.
Der Rechtsratsuchende sollte auf jeden Fall beim Erstbesuch der Online-Plattform die Datenschutzbestimmungen prüfen. Sonst erfahren soziale Netzwerke wie Facebook schon beim Aufruf der Seite den Namen des Rechtsberatungskandidaten, wenn dieser sich – wie oft üblich – über dasselbe Gerät beim jeweiligen Netzwerk ein- und nicht wieder ausgeloggt hat.
Bewertungen in den sozialen Medien
Mit der Digitalisierung verändern sich nicht nur die Prozesse rund um die Rechtsberatung und -begleitung, sondern auch die Erwartungen und Herausforderungen an die Beteiligten auf beiden Seiten. Rechtssuchende mit hoher Internet-Affinität, die gewohnheitsgemäß online unterwegs sind und via Tablet ihre Anfrage stellen, sind durch Google & Co oft besser vororientiert und haben höhere Serviceerwartungen als der herkömmliche Mandant, der sich auf Empfehlungen aus dem Freundeskreis hin einen Termin beim Anwalt um die Ecke geholt und sich zuvor meistens nicht ausgiebig und gründlich im Netz vororientiert hat.
Neue Anwälte für neue Mandanten
Die neue Mandanten-Generation, die sich von nicht verifizierbaren Bewertungen im Netz mehr leiten lässt als vom gutem Namen eines Anwalts vor (analogem) Ort, scheint denn auch bereits eine neue Anwalts-Generation zu generieren. Denn wer heute wettbewerbsfähig bleiben will, muss durch Schnelligkeit, Kostengünstigkeit und optimale Nachvollziehbarkeit im Netz glänzen. Dort drohen die Kunden-Bewertungen über Erfolg und Misserfolg der Kanzlei zu entscheiden. Dabei sind die Bewertungen in den einschlägigen Portalen durchweg subjektiv und nicht selten unzuverlässig, wenn nicht gar unqualifiziert, da sie die oft für den Laien schwer nachvollziehbare Beratungsqualität des Juristen nur nach persönlichem Empfinden beurteilen.
Für die mit einer Rechts-Plattform kooperierenden Juristen und Kanzleien gibt es aber ein Problem. Für sie wird es immer schwieriger, eine dauerhafte, vertrauensvolle Mandanten-Bindung aufzubauen. Der Grund: die neue Mandanten-Generation nimmt eher die Plattform als Anlaufpunkt für ihre juristischen Fragen wahr, als den bearbeitenden Anwalt.
Erfreulich ist ein anderer Aspekt der Rechtsberatungs-Plattformen im Internet für die Juristen. Ihr Beratungsmarkt wächst. Preis- und Leistungstransparenz auf den Plattformen führen zu immer mehr Anfragen von Rechtssuchende, die früher keinen Anwalt konsultiert hätten.
Vor Gericht und auf hoher See helfen also nicht mehr nur Gebete, sondern zunehmend auch Online-Plattformen.